Als Einkaufsleiter des Münchner Traditionshauses Lodenfrey verantwortet Sebastian Haufellner drei Bereiche, die auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein könnten: Herrenmode, Kindermode und Herrentracht.
Vor Beginn der kommenden Messesaison verriet der Münchner Designer gegenüber FashionUnited, wie sich die einzelnen Bereiche gegenseitig beeinflussen und wohin die Modereise für Männer in der kommenden Saison geht. Außerdem sprach er über die Lehren und Schrecken vergangener Saisons, den Spagat zwischen Trend und Tradition und die kommende Generation der nächsten Lodenfrey-Kunden.
Bevor wir in eine neue Saison starten, werfen wir einen Blick zurück. Wie würden Sie den vergangenen Bestellzeitraum zusammenfassen?
Aufgefallen ist mir, dass auf der ganzen Linie alles zweistellig teurer geworden ist. Dies wird uns in Zukunft natürlich vor Herausforderungen stellen, wenn es darum geht, dies gegenüber den Endverbrauchern durchzusetzen. Vor allem, wenn die gleichen Produkte teurer werden.
Und es ist nicht die erste Staffel, in der alles teurer geworden ist…
Richtig, auch unsere Endverbraucher akzeptieren, dass von der Tomate bis zum Haus derzeit alles teurer wird, aber es ist an der Zeit, dass sich alles langsam auf einem neuen und vor allem stabilen Niveau einpendelt.
Sind Marken offen für einen Dialog über steigende Preise?
In bestehenden Partnerschaften und in Fällen, in denen die Marke auf den Großhandel setzt, werden offene Dialoge geführt und auch auf unsere Bedürfnisse eingegangen. Entweder durch eine stabile unverbindliche Preisempfehlung oder faire Aufschlagsempfehlungen. Und dann gibt es natürlich auch Marken, für die der eigene Einzelhandel viel wichtiger ist als der Großhandel. Diese Marken sammeln ihre eigenen Erfahrungen und sagen ganz klar: „Der Preis ist uns egal.“
Gibt es Preiserhöhungen, die eine Marke für ihr Produktsortiment nicht mehr lebensfähig machen?
Ja, das kristallisiert sich relativ schnell heraus, innerhalb von ein bis zwei Saisons. Das größte Problem hierbei sind Premiummarken, die glauben, auch in den Luxusmarkt vordringen zu müssen. Und bevor sie das in Sachen Image tun, achten sie auf den Preis. Diese Marken haben sicherlich das größte Überlebensproblem, da klassische Luxuskonsumenten aufgrund von Knappheit und Begehrlichkeit große Beträge ausgeben – und nicht für 20, 30 oder 40 Marken, die alle glauben, durch plötzliche Preiserhöhungen im Luxussegment mitspielen zu können.
Können Sie uns ein Beispiel geben?
Nehmen wir als Beispiel eine Sportbekleidungsmarke. Eine bekannte Sportbekleidungsmarke prägt seit fünf Jahren mitten im Winter das Münchner Stadtbild. Damals kauften Endverbraucher diese Jacke für etwa 800 bis 900 Euro, noch bevor es kalt wurde. Mittlerweile kostet die gleiche Jacke zwischen 1.300 und 1.500 Euro. Die Marke scheint davon auszugehen, dass sie in Zukunft auf dem Niveau der Monclers dieser Welt und Marken auf der Maximilianstraße (Anm. d. Red.: eine teure Einkaufsstraße in München) konsumiert wird. Dabei wird jedoch völlig außer Acht gelassen, dass Endverbraucher die Marke keineswegs als Luxus, sondern eher als Mainstream wahrnehmen – auch aufgrund ihrer Präsenz im Stadtbild.
Haben Sie neue Marken auf dem Schirm, die Sie gerne in Ihr Sortiment aufnehmen würden?
Ein gewisser Prozentsatz, etwa 10 Prozent unseres Sortiments, wird stets dynamisch gesichtet und ausgetauscht. Daher gehören etwa 20 bis 30 Prozent der Marken, die ich in ihren Showrooms besuche, noch nicht zu unserem Sortiment und werden noch nicht von unseren Einkäufern geschrieben. Dabei handelt es sich vor allem um Marken, die Potenzial oder Perspektiven haben. Wenn wir nur nach Stückzahlen kaufen, was viele Unternehmen tun, bleiben wir außen vor. Wir müssen darauf achten, dass wir immer den nächsten Reiz setzen.
Wo suchen Sie nach Inspiration und wie finden Sie und Ihr Team neue potenzielle Marken?
Heutzutage helfen natürlich die Algorithmen der digitalen Welt. Folgt man einer Marke auf Instagram, schlägt der Algorithmus automatisch globale Marken vor, die ähnlich sind oder von ähnlichen Menschen gesucht und konsumiert werden. Und wir reisen auch ab und zu physisch durch Städte, insbesondere vor unseren Bestellphasen, und schauen, was draußen passiert.
Gibt es Städte, die dabei eine besondere Rolle spielen?
In Europa ist es London, da wir während der Bestellphase sowieso in Paris und Mailand sind. Skandinavien ist interessant, aber die Schnittmenge der Mode bei Lodenfrey ist nicht unbedingt skandinavisch. In Sachen Tracht sind andere Städte eher im Alpenraum angesiedelt. Und dann sind es meist Filialen, die auch auf der grünen Wiese liegen können.
Haben Sie aus der vergangenen Saison Lehren gezogen, die Sie in die kommende Order-Saison mitnehmen werden?
Wir werden unseren Einkauf noch einmal etwas stärker an die Entwicklung von Lodenfrey anpassen. Wir wollen weiterhin auf beiden Kanälen – stationär und online – wachsen, aber mit etwas mehr Bescheidenheit. Nach der Pandemie herrschte eine gewisse Goldgräberstimmung und die Hoffnung, dass die Endverbraucher für immer exzessiv konsumieren würden, da der Nachholeffekt damals nicht abschätzbar war.
Lodenfrey steht für viele Münchner für Tradition, doch gerade das klassische Männerbild wandelt sich immer mehr. Wie verbindet man Fluidität und Modernität, ohne den „Kunde der klassischen Herrenmode“ zu verärgern?
Bei Männern ist es natürlich ganz klar, dass sie eine gepflegte Langeweile pflegen. Das bedeutet, dass Männer mehr oder weniger immer die gleichen Dinge kaufen. 80 Prozent unserer großen Geschäfte sind jedes Jahr die gleichen Jeans, die gleichen beigen Hosen, die gleichen dunkelblauen Jacken und so weiter. Wichtig ist, dass die Einkäufer professionell arbeiten und auch mal Trends außer Acht lassen, denn Trends kann man sich nur bis zu einem bestimmten Prozentsatz leisten.
Viele Ihrer Kunden sind mit Lodenfrey aufgewachsen, oder?
Insgesamt sind wir kein High-Fashion-Haus, sondern etwas, das Zuverlässigkeit ausstrahlt. Ich selbst bin als Kind mit Lodenfrey aufgewachsen. Manchmal ist es fast erstaunlich, dass wir über verschiedene Generationen hinweg einen so hohen Stellenwert haben. Es beginnt mit einem körperlichen Erlebnis für die Kinder, das wir auch mit Karussell und Rutsche in den Mittelpunkt stellen, sodass junge und potenzielle Kunden sagen: „Mama, Papa, ich will nach Lodenfrey.“
Unglaublich viele Mitarbeiter sind auf der Rutsche groß geworden. Wir haben Kunden, die mit der Rutsche aufgewachsen sind und für sie ist es irgendwie ein emotionaler Anker.
Du bist nicht nur für die Herrenmode verantwortlich, sondern auch für die Kindermode. Wie unterscheiden sich diese Bereiche hinsichtlich der Trends und ihres Zyklus?
Bei den Mädchen ist es so, dass die Damentrends fast gleichzeitig auch die Modewelt der Mädchen erreichen. Man muss genau hinschauen und früh sein. Und bei den Jungs ist es manchmal saisonal oder sogar jährlich. Wenn wir merken, dass ein Trend in der Herrenmode auf dem Vormarsch ist, dann geht es im darauffolgenden Jahr auch um die Kindermode.
Es ist ähnlich wie bei Marken. Wenn wir einen Markenhype bemerken, müssen wir uns auch mit der Kindermode genauer befassen. Auch viele große Marken recyceln ihre Kollektionen. Sie können dann erkennen, dass ein Thema der vorherigen Saison in Bezug auf Farben oder Qualitäten für Männer häufig ein Thema für Kinder im folgenden Jahr sein wird.
Wohin wird die Modereise der Männer in der nächsten Saison gehen?
Modisch wird es eine Weiterentwicklung des Trends geben, den wir letztes Jahr mit „The Talented Mr. Ripley“ für unser Leitbild formuliert haben. Wir haben damals unsere gesamte Herrenabteilung ins Kino eingeladen, um den Film als „Trend“ zu präsentieren, den Ton anzugeben und zu zeigen, wie man diese Kleidung zelebriert – die weiteren Hosen, die natürlichen Materialien, die Farben, die gestrickten Poloshirts Schlüssel-Höhepunkte.
Eine Krise jagt die nächste – kaufen Kunden dadurch weniger?
Ja, davon gehen wir für den Gesamtmarkt aus. Die Frage ist, ob das im Umkehrschluss auch bedeutet, dass wir weniger einkaufen oder mit einem Verlust rechnen. Wir haben unser Sortiment in letzter Zeit deutlich eingeschränkt. Wir kaufen definitiv weniger Marken als zuvor. Wenn wir beispielsweise etwa 20 Marken loswerden, nehmen wir nur etwa zehn neue auf. Damit wollen wir unser Profil schärfen.
Und wie ist die Situation bei Lodenfrey? Haben Ihre Kunden weiterhin in Mode investiert?
In Krisenzeiten profitieren wir wahrscheinlich sogar etwas mehr als in anderen Zeiten. Genauso wie die Luxusmarken, die alten, die zuverlässigen, die auch davon profitieren, dass Menschen „die guten alten Sachen“ kaufen. Natürlich müssen wir uns aber auch immer wieder neu erfinden und mit der Zeit gehen, denn die traditionellen Unternehmen, die nicht mit der Zeit gehen, sterben langsam aus.
Spielt hier auch der anhaltende „Quiet Luxury“-Trend eine Rolle?
Wir stehen für „Quiet Luxury“, für uns ist das kein Trend. Mit „Logomania“ hatten wir ein wenig zu kämpfen. Ich denke, ein leiser Trend folgt natürlich einem lauten. Bei „Silent Luxury“ geht es auch um den Code, den man zeigt. Und München ist prädestiniert dafür, zu zeigen, was man kauft. Also muss alles „Silent Luxury“ sein, es muss der richtige Schuh sein, den jeder auf der Straße erkennt.
Nach dem „Quiet Luxury“-Trend steht nun das Ende des Luxusbooms bevor. Wie gehen Sie damit um?
Genauso wie der Trend oder der Satz „Streetwear ist tot“. Kunden geben immer viel Geld für etwas aus, wenn sie der Meinung sind, dass es einen besonderen Wert hat. Sei es eine besondere Leistung, eine besondere Qualität, ein besonderer Service oder eine besondere Knappheit.
Das Wetter hat den Start in die Herbst-/Wintersaison nicht unbedingt begünstigt, wie läuft das Geschäft derzeit?
Bei der Mode haben wir wetterbedingt einen zweistelligen Verlust gemacht, gleichzeitig aber im Unternehmen ein Plus gemacht, da der Trachtenbereich für uns sehr stark war.
Der Spruch „Nach der Wiesn ist vor der Wiesn“ – gilt das auch für das Trachtengeschäft?
Das Oktoberfest ist zusammen mit dem Wasen in Stuttgart eigentlich das letzte große Fest der Saison. Alle anderen Volksfeste finden davor statt. Das Kerngeschäft im Kostümgeschäft findet daher in den Sommermonaten statt. So finden ab April, wenn die Frühlingsfeste beginnen, viele Hochzeiten, einige Firmenveranstaltungen, Geburtstage, aber letztendlich auch die vielen Volksfeste statt. Damit haben wir auch unser gesamtes Saisonmanagement im Trachtenbereich umgestellt.
Ist die Tracht also zu einem saisonunabhängigen Produkt geworden? Und wie unterscheidet sich der Trachtenzyklus von der Mode?
Mittlerweile sehen wir unser Kerngeschäft mit der Tracht eigentlich als Ganzjahresgeschäft. Früher war der Trachtenzyklus immer etwas später als die Mode, ganz nach dem Motto „Wir sind kein Modeprodukt, also müssen wir auch nicht früh liefern oder verkaufen“. Dementsprechend haben wir im Februar und März immer die Bestellungen für eine Wintersaison mit Lieferung im Juli, August und September geschrieben. Dies ist mit den heutigen Lieferketten nicht möglich. Heute beginnen wir gleich nach dem Oktoberfest mit dem Einkaufen. Du bist sowieso nie schlauer als direkt nach dem Oktoberfest.
Hat sich durch diese Verschiebung auch die von Ihnen bestellte Ware verändert?
Es ist tatsächlich wieder traditioneller geworden. Die Leute kaufen sie authentisch. Das hilft natürlich unserem Gesamtstil und unserer Botschaft, denn wir pflegen diesen traditionellen Teil sehr gerne. Ein Ende ist derzeit nicht in Sicht.
Sie haben gerade einen wetterbedingten zweistelligen Verlust erwähnt. Wo besteht Nachholbedarf?
Die Kleiderschränke sind voll, es handelt sich also nicht um Nachholbedarf, sondern um Nachholbedarf. Natürlich Sportbekleidung, Mäntel, Oberbekleidung und Strickwaren. Die Mid-Winter-Produktgruppen leiden derzeit.
Das Thema Wetter scheint in jeder Wintersaison aufs Neue aufgegriffen zu werden …
Es ist lustig, dass wir jedes Jahr darüber reden, dass es im Herbst zu warm war und dass die Wintermäntel immer noch am Kleiderständer hängen. Aber ganz ehrlich: Auch wir machen es falsch.
Als wir Ende Januar den normalen gesetzlichen Verkauf in Deutschland verließen, versuchten wir, die Saison künstlich zu verlängern. Lieferanten waren gezwungen, Winterware im Sommer zu liefern, um den Verkaufszeitraum zu maximieren, obwohl sie wussten, dass sie diese in diesen Wochen nicht verkaufen würden. Allerdings muss man trotzdem zahlen, was vielerorts zu Liquiditätsengpässen führt, die wiederum Hysterie auslösen. So beginnen die Preiskämpfe bereits im September und Oktober, ohne dass die Saison auch nur annähernd beginnt.
Die Branche muss von diesem schizophrenen Verkaufspreisdruck entlastet werden. Die Pflicht liegt bei den Lieferanten und Einzelhändlern.
Was erhoffen Sie sich für die kommende Saison?
Ich freue mich auf jeden Fall auf eine sehr, sehr bescheidene Haltung aller Marktteilnehmer im nächsten Jahr.